Lieblingskind reloaded
Darf man offiziell nicht haben. Aber was, wenn man sich einem Kind näher fühlt als dem anderen. Zum Beispiel weil eins der Kinder gerade mordsmäßig anstrengend und das andere unfassbar bezaubernd ist? Schwierig.
Meine Johanna ist wie das Wetter gestern. Bewölkt. Ab und zu lugt überraschend die Sonne raus aber jederzeit schwebt das drohende Unwetter über einem. Und wenn ich sage Unwetter, ey – dann meine ich Unwetter. Kurz bevor es los geht guckt sie dann auch immer so böse. „Sie hat wieder diesen Psycho-Blick!“, bemerkte meine Nachbarin – Schrägstrich Freundin – gestern. Ich weiß natürlich was sie meint aber die Formulierung ist mir trotzdem zu hart. Mein Baby ist doch kein Psycho! Nur halt eine ganz normale Bald-Vierjährige. In dem Alter soll sich wohl eine Menge tun in Sachen Horizonterweiterung. Sie soll eine Vorstellung davon bekommen, was andere Menschen in bestimmten Situationen tun oder fühlen könnten. Ein gigantischer Entwicklungsschritt. Für mich fühlt es sich hart nach Pubertät an. Beziehungsweise bekomme ich eine gruselige Vorahnung davon, was Pubertät bedeutet. In einer Minute ist sie ein liebes Engelchen, das seine Schwester vor dem Schlafen geht kuschelt und ihr noch einen Tropfen ihrer Lieblingszahnpasta extra auf die Bürste gibt, bevor sie ihr die Mickey-Maus-Bürste reicht. Ja, sowas macht sie. Der kleine Schatz.
Der kleine Schatz schubst allerdings jene geliebte, kleine Schwester auch grundlos, brüllt sie (oder beliebig irgendwen) an, beschimpft kreativ („Du bist eine Dummheit. Du riechst nach Kaka!“) oder kreischt und tobt durchgehend wegen gar nix. Obwohl sie doch ein so schönes Leben hat. Ich denke mir öfter mal, dass es ihr zu gut geht. Das hab ich früher bei meinen Eltern immer gehasst wie die Pest. Die haben nämlich auch öfter mal über unsere Undankbarkeit geschimpft. Und der Satz „Dir geht’s viel zu gut!“ fiel sehr oft. Ich war natürlich anderer Meinung. Aber heute verstehe ich, was sie meinten. Ich glaube auch, dass es meinen Girls manchmal ZU gut geht. Bei all den Zugeständnissen, gekochten Lieblingsgerichten, Botendiensten, kleinen und großen Geschenken und all den Unternehmungen die wir nahezu jeden Tag im Programm haben. Aber gibt’s dazu eine Alternative. Mehr Langeweile? Mehr Drill oder Verzicht? Das ist super schwer. Mit Verboten oder gestrichenen Unternehmungen bestrafe ich ja nicht nur die Große, sondern auch Pauline und mich. Wir müssen dann nämlich den kleinen bösen Golem daheim ertragen und das macht auf Dauer echt mürbe.
Da wären wir bei Pauline. Mein Krippen-Sorgenkind, das auch daheim keinen Bock auf Schlafen hat. Das ist nervig ja aber sonst… Sonst ist sie ein Sonnenschein, der Herzen im Sturm erobert. Ich weiß gar nicht mehr, wieviele Menschen schon gesagt haben, dass sie sie am liebsten fressen würden weil sie so unfassbar süß ist. Sie hat ein gewisses komödiantisches Talent und ist dazu eine blitzgescheite Labertasche. Das ist Kombination mit ihren schönen Mandelaugen sorgt reihum für Verzückung. Wenn ich mit Pauline irgendwo auftauche, werden Johanna und ich nicht mehr beachtet. Dafür kann die Kurze natürlich nix und trotzdem ist es ungerecht. Meine Johanna tut mir dann immer leid. Weil sie nämlich auch eine Schönheit ist. Und ihre guten Seiten hat. Ich hoffe, dass sie die demnächst wieder öfter mal zum Vorschein bringt weil ich es wirklich hart finde, gerecht zu sein und jede Minute des Tages gleichmäßig Liebe und Aufmerksamkeit zu verteilen, wenn es einem die Eine gerade soooo leicht und die andere soooo schwer macht. Gott sei Dank weiß ich, dass das wie immer nur eine Phase ist. Wahrscheinlich wendet sich das Blatt schneller als ich gucken kann. Ich bin gespannt.
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