Die böse Hexe
Johanna liebt Märchen gerade über alles. Und deshalb muss ich sie überall und jederzeit nacherzählen. Dafür handle ich mir auch mal Ärger ein. Ich bin immer noch sauer!
„Schneewittchen bitte! Mama, erzähl mir die Geschichte vom Schneewittchen!“ Meine Dreijährige hat es schwer erwischt. Sie ist im Hörspiel-Fieber. Auf unserer selbst gebastelten Tonie-Box hört sie am liebsten die Märchen von Cinderella, Schneewittchen, der Schönen und dem Biest und Rapunzel. Abwechselnd oder gern auch ein und das selbe achtmal hintereinander.
Selbstgebastelt übrigens, weil mein Mann Softwareentwickler UND Schwabe ist. Eine tödliche Kombination in Sachen Kindergeschenke anschaffen. Hier gibt es nix, was man nicht selbst günstiger hin bauen könnte. Und da so eine Figur mit Hörspiel um die 15 Euro kostet, hat er gesagt: „Nö! Ich mach das selbst“. Das ist ziemlich praktisch. Ich halte auf Flohmärkten Ausschau nach passenden Figürchen. Und die bespielen wir dann mit den Geschichten. Sogar selbst vorgelesen. Was so pädagogisch korrekt klingt, ist auch ein bisserl dem Geiz geschuldet aber ist ja auch Wurscht. Die Girls kloppen sich um ihre Märchen. Beide stehen dann mit ihrem Figürchen in den Kinderfäusten da und versuchen, ihre zuerst drauf zu stellen. Pauline steht besonders auf Rapunzel. Johanna gerade Cinderella. Oder Schneewittchen. Und wenn wir nicht daheim sind, muss ich als Märchenerzählerin herhalten. Und da kommen wir zum Punkt.
Wir haben ja kein Auto. Also erledige ich alle Wege öffentlich oder mit dem Radl. Wegen dem Sturz Anfang der Woche bevorzuge ich gerade öffentliche Verkehrsmittel. Und da sind wir ja nicht die einzigen Fahrgäste. Also lauschen andere Menschen zwangsläufig meinen Erzählungen. Ist mir peinlich aber meinen Mäusen zuliebe mache ich es eben.
Dafür gab es schon positives Feedback. Eine ältere Dame meinte zu mir, dass sie es ganz toll findet, dass ich den Kindern Märchen erzähle. Und dann auch noch frei! So etwas würde sie so selten sehen, dass es ihr eine Freude ist, meinen Ausführungen zu lauschen. Dazu muss man auch sagen, dass die Mäuse gebannt zuhören. Bahn fahren finden sie nicht immer so super spannend. Wenn ich erzähle, sind sie ruhig und quengeln nicht. Eine gute Sache also, oder?
Fand eine Frau gestern ganz und gar nicht. Sie ist exakt drei Tram-Stationen mit uns gefahren. Kurz vor der Dritten stand sie auf, stellte sich an die Tür und warf mir über die Schulter zu: „Wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf. Sie reden viel zu schnell. Da kommt das arme Kind ja überhaupt nicht mit. Die ganze Bahn ist genervt von Ihnen!“ Sie sagte das ohne jeden Anflug eines Lächelns oder Augenzwinkerns. Mir ist vorher schon aufgefallen, dass sie ständig genervt nach hinten zu uns blickte. Deshalb habe ich schon leise erzählt. Ich hab ihr dann geantwortet, dass sie gerne draußen ihr Gift weiter versprühen kann und ihr noch ein frohes Fest gewünscht. Aber EY! Das hängt mir immer noch nach und dafür hasse ich sie! Was soll das denn? Das ist doch nicht im Ansatz konstruktiv. Im Gehen nochmal nachtreten. Die kennt meine Kinder nicht! Nachdem sie raus war, hatte ich keine Lust mehr, das Ende von Schneewittchen zu erzählen. Johanna bettelte darum. Also tat ich ihr den Gefallen. Aber ich hab mich sauschlecht dabei gefühlt. Schließlich ist der Rest der Tram ja auch genervt. Oder?
Als zwei weitere Stationen ein Mann ausstieg, bedankte er sich für die grandios erzähle Neuinterpretation von Schneewittchen. Mit einem Lächeln. Und die Hexe von vorher hat mich so eingeschüchtert, dass ich immer noch darüber nachgrüble, ob der Mann das ironisch gemeint hat. Mann!
Warum macht man sowas? Meine Mädels haben sich noch nie beschwert. Das war im Leben kein Tipp, als den sie ihr Gepeste verkaufen wollte. Und selbst wenn: Sie wird doch drei kurze Stationen aushalten. Danach sieht und hört sie uns nie wieder. Ich verstehe das einfach nicht. Zur seelischen Aufarbeitung werde ich die Lady vielleicht mal in meine Märchen einfließen lassen. Und sie wird ganz sicher NICHT die Rolle der Prinzessin spielen!
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