Babys 12. Woche: Dann heul doch!
Gott sei Dank habe ich eine gute Mutti-Community. Sonst würde ich verzweifeln und vereinsamen. Seit neuestem habe ich nämlich ein Phänomen an mir entdeckt, dass mich ernsthaft an meinem Verstand verzweifeln lässt. Da ich aber gern anderen Muttis mein Herz ausschütte, weiß ich inzwischen, dass es allen anderen genau so geht. Wir haben allesamt ein Stück unseres Charakters verloren!
Bei einer alten Tatort-Folge, die ich vor kurzem mit meinem Freund zusammen gesehen habe (eine komplette Folge am Stück! Ich war fast bis zehn Uhr abends wach! Rekord!), musste ich flennen als gäbe es kein Morgen mehr. In der Folge war die Leiche eine alkoholkranke Mutter eines fünf Monate alten Jungen. Schlimm genug die Bilder, wie sie mit der Sektflasche im Bad stand und das Baby nebenan weinte. Da war meine Empörung schon groß. Aber als sie dann im Wald umgebracht wurde und das arme Baby mutterseelenallein im Kinderwagen lag, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und ohne die Aussicht noch in dieser Nacht gefunden zu werden, gab’s kein Halten mehr. Wasser marsch! Mein Liebster entwand mir die Fernbedienung aber ich ließ nicht zu, dass er abschaltete. Ich wollte unbedingt wissen, ob das Baby gerettet werden würde!
Oder Nachrichten. Ich bin aufgrund meines Jobs schon ziemlich abgebrüht. Wenn irgendeine grausame Tat passiert, frage ich mich zuallererst ob es in Bayern war und somit für unsere Nachrichten noch relevanter wird. Doch das ist jetzt anders. Natürlich fand ich es schon immer schrecklich, wenn Kindern oder überhaupt irgendjemandem Schlimmes widerfährt. Unfälle, Übergriffe, Morde. Doch wenn jetzt ein Kind involviert ist, muss ich abschalten. Ich ertrage das einfach nicht. Im letzten Jahr hat ein Vater sein 19 Tage altes Baby umgebracht weil es so laut weinte und sich nicht beruhigen ließ. Wie er das gemacht hat, will ich hier nicht wiedergeben, weil es einfach zu ekelhaft ist. Ich hab Tage gebraucht um diese Geschichte aus dem Kopf zu bekommen! Meine Tochter guckte ganz verwundert, als ich in Tränen aufgelöst diese Nachricht las. Das hat mich gleich noch mehr zum Weinen gebracht weil sie so unfassbar unschuldig ist.
Meine Mama-Community und ich vermuten, dass genau das auch der Grund für unser plötzliches Heulsusen-Dasein ist. Dass unsere Kinder so absolut reine Menschen sind. Sie haben in ihrem Leben noch nichts Schlechtes getan oder sogar nur gedacht. Da gibt es nur Bedürfnisse, Freude, Trauer oder gar Verzweiflung aber absolut nichts Gemeines in diesen zarten Wesen. Babys sehen nicht nur aus wie Engel, sie sind welche! Und Muttis Hormone sorgen dafür, dass wir uns plötzlich für alle Kinder dieser Welt verantwortlich fühlen. Das hat Mutter Natur ganz schön schlau eingerichtet. Wenn irgendwo ein Baby weint, kann ich mich nicht mehr konzentrieren. Wenn es mein eigenes ist, schon gar nicht. Da kann man drei Mal wiederholen, was man gerade versucht, mir zu sagen. Ich höre es nicht. Weil meine Priorität eine andere ist.
Dabei habe ich noch Glück. Ich lese weiterhin gerne spannende Thriller. Je blutiger, desto besser (nur Kinder dürfen nicht vorkommen). Andere Muttis packen nicht mal mehr das. Und eine Freundin kann keine Spenden-Werbung sehen. Jedenfalls keine vom SOS-Kinderdorf, Save the Children oder anderen Organisationen, die sich um Kinder kümmern. Sie erzählte mir bei unserer letzten Parkrunde dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben gespendet habe. Zu sehr haben sie die Bilder großer, trauriger Kinderaugen gerührt.
Und jetzt? Sind wir alle verweichlicht? Liegt es an den Hormonen (die sowieso an allem Schuld sind)? Ob das wieder aufhört? Ich weiß es nicht. Aber solange ich Alpträume bekomme, wenn ich die Zeitung aufschlage oder durchs Internet surfe, fühle ich mich nicht gesellschaftsfähig. Und jetzt muss ich wieder. Der schlafende Engel ist erwacht und hat – gar nicht engelsgleich – Hunger wie ein Bär.
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